Scheider: Könnten Sie mir zunächst ein wenig über Saint-Malo erzählen, den Geburtsort des Projekts Energy Observer und Ausgangspunkt der transatlantischen Segelregatta Route du Rhum? Und welche Mission steckt hinter dem Projekt Energy Observer?
Viviès: Während die Energy Observer bei ihrem 74. Zwischenstopp in Malaysia vor Anker ging, war unsere Bildungsausstellung in Saint-Malo in Frankreich zu bestaunen. Wie Sie schon sagten, war dies der Geburtsort des Projekts und auch der Ausgangspunkt der „Route du Rhum – Destination Guadeloupe“, der legendären transatlantischen Soloregatta, die alle vier Jahre im November stattfindet.
Wir haben eine starke symbolische Verbindung zu diesem Ort und freuen uns, dass wir in den Wochen vor dem Start des Rennens mehr als 50.000 Besucher – darunter 1.100 Schulkinder – empfangen konnten.
Das primäre Ziel der Veranstaltung ist die Aufklärung über die Umweltauswirkungen des Seeverkehrs. Wir nutzen diese als Ausgangspunkt für unsere Botschaft der Energiewende, indem wir erklären, dass jene eine Notwendigkeit ist, und veranschaulichen dies mit dem Abenteuer der Energy Observer.
Alles, was wir zeigen, basiert auf Fakten: Wir bevorzugen einen wissenschaftlichen Ansatz, anstatt zu versuchen, mit den Schuldgefühlen der Menschen zu spielen – dadurch kann kein positiver Effekt erzeugt werden. Die gesamte Ausstellung, einschließlich des Panorama-Riesenrads, wird von der Elektro-Wasserstoff-Gruppe GEH2®, unserer Industrietochter EODev (Energy Observer Developments) angetrieben. Dabei handelt es sich um eine bewährte, emissionsfreie Energielösung, deren volles Potenzial für Eventanwendungen in unserer Demonstration zu sehen ist.
Die Ausstellung, die Energy Observer sowie der nachhaltigen Energie und dem Wasserstoff gewidmet ist, umfasst 210 Quadratmeter. In zwei geodätischen Kuppeln, die durch einen Tunnel miteinander verbunden sind, können Besucher eine Zeitleiste entdecken, welche die Geschichte der Energiewende und des ökologischen Bewusstseins nachzeichnet. Wir stellen auch das Labor der Energy Observer vor, das ebenfalls von der Expertise und Unterstützung der ADEME (Französische Agentur für Umwelt und Energiemanagement) profitiert.
Die Kuppeln beherbergen spektakuläre immersive und lehrreiche Ausstellungen. Mit Hilfe von monumentalen Projektionen und Bildschirmen, welche die Technologien an Bord des Laborschiffs zeigen, helfen wir der Öffentlichkeit zu verstehen, was Wasserstoff wirklich bringt – sowohl auf See als auch an Land. Wir präsentieren auch die Lösungen, die auf der ganzen Welt gefunden wurden, durch das Prisma der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung, für die Energy Observer der erste französische Botschafter ist.
Scheider: Du hast Wasserstoff erwähnt. Welche Rolle kann dieser bei der Energiewende spielen, insbesondere für die Industrie?
Viviès: Die chemischen Eigenschaften von Wasserstoffgas machen ihn zu einem unverzichtbaren Bestandteil der zukünftigen Energieversorgung. Wasserstoff ist das am häufigsten vorkommende chemische Element im Universum. Zudem ist dieser leicht und seine Energiedichte ist dreimal höher als die von fossilen Brennstoffen. Außerdem kann er überschüssige Energie speichern. Er bietet also klare Vorteile bei der Beschleunigung der Dekarbonisierung. Und wenn er mittels erneuerbarer Energien gewonnen wird, entstehen weder bei seiner Herstellung noch bei seiner Verwendung CO2-Emissionen oder Feinstaub: Er ist dekarbonisiert! Die Energy Observer, die ihren Wasserstoff aus Meerwasser herstellt, stellt dies jeden Tag unter Beweis.
Wenn wir die Ziele erreichen wollen, die wir uns für die Entwicklung der erneuerbaren Energien, der Reduzierung des Verbrauchs fossiler Brennstoffe und für die Verringerung der Treibhausgasemissionen gesetzt haben, ist Wasserstoff die bevorzugte Option. Aber derzeit werden 96 Prozent des weltweit produzierten Wasserstoffs aus fossilen Brennstoffen gewonnen. Es muss uns also gelingen, kohlenstoffarmen Wasserstoff in großem Maßstab zu produzieren, um nicht nur die Industrie, sondern auch den Verkehr zu dekarbonisieren. Ich denke dabei insbesondere an die „Schwerlast-Mobilität“ (z. B. Lastwagen für den Gütertransport oder den Seeverkehr auf hoher See), die bekanntermaßen erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt hat.
Um Ihre Frage genau zu beantworten: In allen Sektoren, die Wasserstoff für ihre industriellen Prozesse einsetzen, bewegt sich die Industrie in Richtung Dekarbonisierung. Frankreich strebt in der Tat Kohlenstoffneutralität bis 2050 an.
Wir sind bereit für diese Herausforderung!
Scheider: Könnten Sie Ihr Engagement für die Wasserstoffwirtschaft beschreiben?
Viviès: Wie Odysseus, der nach Ithaka zurückkehrt, befindet sich die Energy Observer auf einer langen Reise, die 2024 mit der Rückkehr des Schiffes nach Frankreich während der Olympischen und Paralympischen Spiele in Paris enden wird. Das Abenteuer hat es uns jedoch schon jetzt ermöglicht, konsequent an der Förderung von Wasserstofftechnologien zu arbeiten.
Im Jahr 2019 wurde Energy Observer Developments (EODev) gegründet, um nachhaltige, zuverlässige und zugängliche Energielösungen, die Wasserstoff nutzen zu entwickeln und für die Industrie nutzbar zu machen. Zu den Innovationen von EODev gehört der GEH2®, ein Elektro-Wasserstoff-Aggregat, das die zig Millionen Dieselgeneratoren ersetzen kann, die derzeit auf der ganzen Welt im Umlauf sind. Dabei handelt es sich zunächst um essenzielles Engagement an Land. Damit aber noch nicht genug: Die Menschen müssen auch verstehen, wie abhängig ihre Lebensweise vom Seeverkehr ist.
Ein Blick auf globale Handelsrouten reicht hierzu bereits. Kleidung, die zumeist in Asien hergestellt wird, Treibstoff, Ersatzteile, Lebensmittel usw. werden über die Meere transportiert. Es gibt fast 100.000 Handelsschiffe, die dazu bewegt werden müssen – also mehr als 2 Milliarden Tonnen in unbeladenem Zustand. Das ist beträchtlich. Denken Sie nur an diese Seeungeheuer, diese 450 Meter langen Öltanker! Allein der Seeverkehr ist für 3 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich.
Vor diesem Hintergrund haben wir auf dem One Ocean Summit in Brest im Februar 2022 das Projekt Energy Observer 2 angekündigt. Es handelt sich um ein Mehrzweck-Frachtschiff von etwa 150 Metern Länge, das ausschließlich mit flüssigem Wasserstoff angetrieben wird. Es wird keine direkten Emissionen verursachen. Wir können eindeutig sagen, dass dies ein großer Schritt nach vorn bei der Dekarbonisierung des Seeverkehrs ist. Der Start des Schiffes ist für 2026 geplant. Das Potenzial ist immens, denn das Prinzip ist auch auf andere Sektoren anwendbar: Flussschifffahrt, Motorsport usw. Ich denke, Sie können sich unsere Ungeduld vorstellen...
Scheider: Inwieweit unterstützen Partnerschaften mit Akteuren wie Rockwell Automation Ihre Ambitionen für den Planeten?
Viviès: Energy Observer verfügt über ein reichhaltiges und vielfältiges Ökosystem an Partnern; und diese wertvollen Unterstützer haben es dem Projekt ermöglicht, sich in den letzten Jahren in exponentieller Geschwindigkeit weiterzuentwickeln. Das gilt auch für den technologischen Aspekt, der wiederum Auswirkungen auf die gesamte Welt hat.
Rockwell Automation zum Beispiel spielt an unserer Seite eine entscheidende Rolle, denn das Unternehmen ist seit 2017 offizieller Technologieanbieter für Energy Observer. Seine Hardware-, Software- und Informationslösungen sind entscheidend für die Wartung und Verwaltung der Energieinfrastruktur des Schiffes. Rockwell Automation ermöglicht es uns nicht nur, die Energieerzeugung, -speicherung und -abgabe zu steuern, sondern liefert uns auch die wesentlichen Betriebsdaten, die es der Besatzung ermöglichen, in Echtzeit auf wichtige Informationen zuzugreifen. Ihre technische Unterstützung ist von entscheidender Bedeutung.
Natürlich teilen wir die Hoffnungen für die Zukunft.